Mein allgemeines Umfeld im Tierschutz wie auch der Hunde-Halter-Schule lässt einen generellen Trend erkennen: war es bis vor kurzem die Optik, die sich bei der Auswahl des Hundes über Sinn & Verstand, Zeit & Hundeerfahrung hinweg setzte, scheint es nunmehr in zunehmendem Maße die „Hundesport-Tauglichkeit“ zu sein. Die persönlichen Wünsche der Halter lassen mitunter den Eindruck zu, der Kauf eines Hundes kommt einem Wunschkonzert gleich: ein bisschen Roberto Blanko mit einem Schuss Elvis Presley… und von 18.00 – 19.00 h bitte noch ein wenig Lady Gaga. Der Trend, sich aus dem Gesamtverhaltenskomplex einer Rasse nur die herauspicken zu wollen, die für eine Kurzzeitsituation (Hundeplatz) die meisten Vorteile bietet, scheint bei so manchem Halter übermächtig zu sein und ein besonders inniges Gefühl für „Erfolge“ geht mit diesem Trend meist ungefragt daher. Die restliche Zeitspanne abseits des Hundeplatzes bleibt auf der Strecke und leistet dem ebenfalls kümmerlich-restlichen Veranlagungspotenzial des Vierbeiners Beistand. Natürlich bezieht sich diese frustrierte Feststellung wieder einmal auf die stetig wachsende Zahl der „wir müssen ihn leider wieder abgeben, weil…“ Fälle – jene Glücksfälle, in denen wohlüberlegte Anschaffung und ein hochzufriedener, ausgelasteter und entspannter Hund Hand in Pfote gehen, will ich nicht verschweigen, aber auch nicht in den Vordergrund stellen, da es sich dabei doch eigentlich um eine Selbstverständlichkeit handeln sollte. Eigentlich...
Bei Anfragen nach bestimmten Rassen (letzte Woche alleine erhielten wir drei Anfragen nach belgischen Schäferhunden, Welpen selbstverständlich…) steht eines im Vordergrund: er soll schnell und wendig sein, intelligent und ausdauernd; eben der perfekte Agility-Hund. Auch Border Collies oder Australian Shepherds ereilt dieses Nachfrageschicksal ungebremst… und die „hübsch-puschelige“ Optik gibt´s noch gratis dazu! Die Kehrseite dieser Anschaffungspolitik bekommt der Tierschutz nach wenigen Wochen oder Monaten erneut zu spüren: gestresste Halter – unterforderte Hunde in punkto körperlicher und geistiger Auslastung; gleichzeitig überfordert mit vielen Alltagssituationen und Reizauslösern.
Worüber sollte man sich somit als Hundehalter im Klaren sein, wenn man sowohl alltagstauglichen „Familienhund“ als auch „Sportprofi“ sucht…?
Viele Rassen, die für bestimmte Aufgaben prädestiniert erscheinen und auch abseits des Hundesports (z.B. im Polizeidienst/Zoll/Suchhunde etc.) ihre geschätzte Verwendung finden, weisen oftmals ein Verhaltensmuster auf, das für die eigentliche Arbeit unerlässlich und damit sehr wünschenswert ist: schnelle Auffassungsgabe, hohe Reaktionsfähigkeit, ausgeprägtes Triebverhalten, hohe Eigenmotivation… klingt alles nahezu genial für den „perfekten Agilityhund“, nicht wahr? Scheinbar, denn alle diese Wesenszüge bzw. Veranlagungen haben neben viel Sonne auch gravierende Schattenseiten, nicht nur abseits der eigentlichen „Verwendungszeit“. Viel Energie als Triebindikator und eine schnelle Reaktionsfähigkeit in Form der Erregbarkeit sind oftmals von Stress an sich nicht mehr zu unterscheiden und bleiben dem Halter verborgen… mit gravierenden Folgen.
Das Triebverhalten des Hundes wird oftmals als etwas bezeichnet, was die Persönlichkeit eines Hundes kennzeichnet. Der Podenco, z.B., eine spanische, noch sehr ursprüngliche Rasse, zeichnet sich durch seinen starken Jagdtrieb aus. Er ist Teil seiner „angeborenen Persönlichkeit“; das, was die Rasse an sich auszeichnet.
Motivation hingegen kann mit der Triebveranlagung zusammen fallen, aber auch „erlernt“ werden, auch dann, wenn einem Hund bestimmte Handlungsweisen nicht in die Wiege gelegt wurden. Bei einem Podenco, z.B. gehen Triebveranlagung und die Motivation zum Jagen Hand in Hand, da der Jagdtrieb ein selbstbelohnendes Verhalten für den Hund darstellt. Auch einem Retriever muss man in aller Regel das Apportieren an sich nicht erst „beibringen“… auch er bringt Veranlagung und Motivation gleichermaßen mit. Ein Mops, der apportieren soll, benötigt höchstwahrscheinlich einen Anreiz, um es seinen Artgenossen gleich zu tun… er kann das Apportieren lernen, jedoch eher mittels „Sekundär-Belohnung“ (z.B. Futterbestätigung), denn er würde das Apportholz weniger des Apportieren willens holen. Hier ist das Futter der „Motivator“.
Motivation kann nicht erzwungen werden – als Halter formt man eine entsprechende Motivationslage beim Hund und setzt in der Regel auf Aktivitäten, die dem natürlichen Verhalten des Hundes/der Rasse am nächsten ist. Motivation dient meistens als Verstärker für das Triebverhalten: ein Podenco an sich jagt bereits sehr gerne, aber durch einen gezielten Reiz aus seinem „Beuteschema“ erhöht sich die Motivation und verstärkt den Trieb weiter.
Viele Halter entscheiden sich für Rassen, deren Fähigkeiten sie für ein bestimmtes Hobby (z.B. Hundesport) nutzen wollen. Im Bereich Agility und VPO, gerade auch im Leistungsbereich (Turniere, Meisterschaften etc.), z.B. fallen immer wieder ganz bestimmte Rassen auf: Border Collies, Australian Shepherds und zunehmend Malinois, belgische Schäferhunde. Eines haben sie gemein: klein – mittelgroß, kompakt, schnell, führig… die idealen Voraussetzungen also, um erfolgreich zu sein – für den Halter! An sich ist dieses Ziel aus Haltersicht nicht verwerflich, jedoch fällt ebenfalls eines immer deutlicher auf: abseits des Hundeplatzes haben so manche hündische „Profi-Sportler“ immense Probleme. „Platzidioten“ nannte man solche Hunde früher (heute mitunter auch noch, nur darf man „es“ nicht mehr so deutlich aussprechen…); Hunde also, die in einer bestimmten Umgebung nach dem Schema F bedingungslos und zu 100% beeindruckend funktionieren, aber außerhalb dieser künstlichen Welt ihre Veranlagungen auf „natürliche“ Weise zeigen, sehr zum Ärgernis von Halter und Umwelt.
Border Collies z.B. – nicht alle sind klassische „Hüter“ und benötigen Vieh zur Glückseligkeit. Aber viele… zu viele, wenn man sich einmal die Abgabe-Statistik der einschlägigen BC-Notvermittlungen anschaut. Ob Welpe oder Junghund, 3-jährig oder 10+ Jahre… die Abgabestatistik lässt Bauklötze staunen. Und die Naivität, mit der solche Rassen angeschafft werden, nicht minder: eben oftmals die typische „wir wollten einen agilen Hund“ oder „ich fahre gerne lange Fahrrad und suche einen lauffreudigen Begleiter“ oder eben auch die „ich möchte gerne Agility mit ihm machen“ Aussage. Die Veranlagung des Hundes an sich, auch oder gerade abseits der „2-Hundesport-Stunden“ die Woche, wird in der Regel völlig unterschätzt, ausgeblendet, schön geredet… Und die Realität schlägt schnell zu, erbarmungslos, besonders für den Hund. Endstation Tierschutz – schon lange keine Ausnahme mehr. In gravierenderen Fällen droht dann auch schnell mal die Euthanasie für den „durchgeknallten“ Hund und kein Alter, vom Junghund bis zum Senior, ist davor gefeit.
Triebveranlagung und Motivation gleichermaßen stellen den Halter z.B. eines „durchschnittlichen“ BC oftmals vor unlösbare Probleme. Die Rasse reagiert blitzschnell auf Bewegungsreize mit dem Ziel, diese zu „kontrollieren“ – ob es sich dabei um ein Schaf oder spielende Kinder handelt, ist dem Hund oftmals schnurz. Bewegungsreiz ist Bewegungsreiz… und löst quasi einen Automatismus in punkto Handlung aus: Wahrnehmen, Anschleichen, Fixieren, Kontrollieren… ein Abwasch, oftmals in Nanosekunden. Diese „Seite“ ihres Hundes, DES HUNDES, der gerade noch so grandios als Bester die Agi-Hürden genommen hat, wollen viele Halter nicht sehen… für den Hund bedeutet dies in aller Regel (FALLS ihn nicht das Schicksal der ungeplanten Abgabe ereilt) ein Leben in Stress: er dreht schon auf, wenn es in Richtung Haustür geht (WO sind die Reize, wo nur…?), zieht an der Leine Richtung Straße (WOOO sind sie denn endlich…?) und schwankt zwischen Hyperaktivität und Wahnsinn, wenn er „sie“ erblickt? Die Halter, darauf angesprochen, kennen oftmals nur eine Antwort: „Das ist ein BC - die sind so…“!
Hält man sich einmal (hoffentlich VOR dem Kauf) vor Augen, wofür diese und ähnliche Rassen ursprünglich gezüchtet wurden, sollte das - nunmehr unerwünschte - Verhaltensrepertoire nicht verwundern. Weder lässt sich die Reaktionsschnelle auf eine Stunde Hundeplatz minimieren, noch die Lauffreudigkeit mit einer Begleitung am Fahrrad gleichsetzen. Und all die anderen, genialen Fähigkeiten und Veranlagungen dieser Rasse verkümmern ebenfalls… 12 Stunden am Tag, 12 Monate im Jahr.
Gleiches gilt für andere Rasse mit einem bestimmten „Auftrag“; Podencos z.B., um nur eine von vielen triebstarken Jagdhundrassen herauszugreifen. Diese Rasse findet seit vielen Jahren Einzug in unser Leben; meistens als Import aus dem spanischen Ausland. Sie werden als sensibel und sanft, mit „ein wenig bis starkem“ Jagdtrieb vermittelt. Ein Hund „mit dem Sie nur ein wenig üben müssen und am besten nur im Garten frei laufen lassen…“ (O-Ton so mancher Tierschutzorganisationen). Interessenten sind nach dieser „umfassenden Einschätzung von berufener Seite“ nunmehr der Meinung: alles nicht so schlimm… ein paar Übungseinheiten in der Hundeschule, ein bisschen Schleppleinen-Training und schon geht der Hund gaaanz entspannt an der Leine, wenn er schon nicht abrufbar ist. Die Realität sieht meistens anders aus: der Hund jagt alles in Grund und Boden, auch im Garten und da ein Podenco auch ein ausgezeichneter Springer und Kletterer ist, bezwingt er auch schon mal ohne große Anstrengungen einen 1,80 Zaun… oder buddelt sich „unten durch“! Der Spaziergang gleicht einer Symbiose aus unerwarteter Leichtigkeit an der Leine (wenn kein Wild in Sicht ist oder keine Duftspur die Luft schwängert) und heftigsten, zutiefst entschlossenen Zieh- und Zerrattacken, WENN das Wild ruft…; begleitet von Jaulen, Fiepen und Bellen. Oftmals dauert es noch Minuten nach dem Wildkontakt (Bambi ist schon lange wieder auf dem Heimweg), bis der Hund „herunter fährt“… sein Stresslevel irgendwo jenseits des Ertragbaren. Jeden Tag, jeden Spaziergang… ein „schönes“ Leben? Dieses genetische Potenzial zu nutzen bzw. für den Alltag „tauglich“ umzulenken, stellt entsprechend hohe Anforderungen an den Halter. Anforderungen, die er mitunter „so“ niemals erwartet hat. Als Halter eines sehr jagdtriebigen Podenco-Mixes kenne ich die Nöte nur allzu gut… es gibt eine gute Kompromisslösung für beide, Hund und Halter, aber sie ist definitiv nicht „von der Stange“!
Die Hilferufe verzweifelter Podenco & Co. Besitzer hingegen sind es: immer die gleiche Notlage, die gleiche Verzweiflung, die gleiche Hilflosigkeit, aber auch die gleiche Uneinsichtigkeit, wenn es darum geht, mit dem Hund „zu arbeiten“; mit ihm gemeinsam Alternativen zu erarbeiten, die der Hund auch als solche akzeptieren kann und die sein genetisches Erbe befriedigen. Alternativen erfordern Einsatz und Konsequenz… beides, womit die meisten Podenco-Halter hinsichtlich des Kaufargumentes „nur sanft und nur sensibel mit ein wenig Jagdtrieb“, garniert mit dem obligatorischen „Liebe, Herz & Schmerz“ – Beiwerk im Vermittlungstext gesagten Hundes, nicht gerechnet haben…
Bei vielen Hunden schlagen Triebveranlagung und Erregbarkeit ganz schnell in Stress um; es folgen Übersprunghandlungen als Frust- bzw. Stressventil und oftmals auch Aggressionen als Folge von Unter- oder Überforderung. Dies ist nicht rasseabhängig, doch bei Rassen mit hoher Triebveranlagung entwickelt sich dieser Prozess meistens schneller und nachhaltiger.
Die Erregbarkeit eines Hundes (oftmals als Begriff des „Temperaments“ ein wenig verniedlicht…) wird auch als Eigenschaft des Nervensystems bezeichnet. Leicht erregbare Rassen zeichnen sich dadurch aus, dass sie auf eine Vielzahl von unterschiedlichen Reizen schneller und stärker reagieren als Rassen mit einem hohen Reizlevel, einem gemäßigteren „Temperament“. Bei der Erregbarkeit geht man von einem vererblichen Merkmal aus. Spätere Erfahrungen des Hundes beeinflussen dieses Merkmal zusätzlich. Ein leicht erregbarer Hund benötigt auch in der Regel deutlich mehr Zeit, diese Erregung wieder abzubauen. Wird ihm diese Möglichkeit des „zur Ruhe kommen“ verwehrt, weil der Hund ständig und regelmäßig Dauerreizen ausgesetzt ist, hat dies u.a. auch nachhaltige organische Auswirkungen auf die Gesundheit des Hundes. Dies bleibt den meisten Haltern verborgen, nicht aber die ständige „Hyperaktivität“ ihres Hundes – aber - ach ja… es ist doch ein BC, die sind halt so…!
Bei Rassen, die ursprünglich einmal für einen bestimmten Zweck gezüchtet wurden und demzufolge - neben wunderschönen blauen Augen, Puschelfell oder langen Beinen und treuherzigem Blick – auch einen „Arbeitsauftrag“ mitbringen, sollte man als Halter mehr als einmal überlegen, ob man diesem genetischen Erbe auch wirklich gerecht werden kann. Als „Sportskanonen“ empfehlen sich viele Rassen bzw. Rasse-Mixe, die Wendigkeit und Intelligenz mitbringen, ohne genetisch auf ein bestimmtes Verhaltensrepertoire fixiert zu sein und die sich somit in das „normale“ Alltagsleben um ein Vielfaches besser und einfacher integrieren lassen.
Am Kern der Misere hat sich trotz jahrelanger Aufklärungsarbeit in dieser Hinsicht nicht viel geändert: Gefragt ist – wie immer bei der überlegten Anschaffung eines Hundes - nicht das persönliche Ego des Halters, sondern seine Vernunft und sein Respekt vor einem Lebewesen mit all seinen Fähigkeiten und Besonderheiten, die ihn als Hund bzw. als Vertreter einer speziellen Rasse auszeichnen.
Würde dies in Zukunft nur ein wenig mehr beherzigt, könnte sich der Tierschutz seiner eigentlichen Aufgabe widmen: der Abgabe eines Tieres durch persönliche, unverschuldete Notlagen der Halter und weniger durch vorhersehbare „hausgemachte“ Gründe…
Martina Wald
www.angsthunde-intensivtraining.de