Ein aktueller Hilferuf veranlasst mich – einmal mehr – meinen Frust über so manchen Hunde“lieb“haber beitragsmäßig zu verarbeiten.
Herr X möchte dringend seinen Hund abgeben; Zeit für eine abgesicherte Vermittlung hat er nicht und lehnt daher unsere „home-to-home“-Vermittlungshilfe ab. Der Hund soll „weg“ – pronto, sofort! Sein Verbrechen: er (der Hund...) attackiert Artgenossen an der Leine und weil es ein ziemlich großer Hund ist, genügen die reinen Körperkräfte schon lange nicht mehr. Man(n) ist schon gestolpert und gefallen, ganz zu schweigen von den guten Ratschlägen und den weniger freundlichen Zurechtweisungen seiner genervten Nachbarschaft, allesamt stolze Hundebesitzer.
Besonders unverständlich ist das Verhalten seines Hundes für Herrn X, da er ihn doch bei seinem letzten Urlaub in Griechenland spontan von der Strasse gerettet hat, vor Ort impfen lies, um ihn wenige Wochen später bei Urlaubsende mit nach Deutschland zu nehmen. So habe er sich das nicht vorgestellt – der Hund sollte doch ein wunderbares Leben hier bei und mit ihm führen und dass er dies nun nicht zu würdigen weiß… Dafür weiß sich der Herr X nun endgültig Rat – der Hund muss gehen, sofort, unwiderruflich…
Ein kurzzeitiger Besuch einer Hundeschule brachte kein zufrieden stellendes Ergebnis… für Herrn X. Dort sagte man ihm, dass eine funktionierende Mensch-Hund-Beziehung offensichtlich noch nicht vorhanden sei; dass Herr X zunächst einmal – unter Anleitung – die hündische Kommunikation lernen und verstehen müsse, damit der Hund wiederum eine Chance habe, zu begreifen, was Herr X eigentlich von ihm erwarte. Und zunächst müssten auch erst einmal die Grundbedürfnisse dieses sehr agilen Hundes befriedigt werden - Herr X fand dies äußerst unverschämt. Wie sich denn ein Hundetrainer, der ihn gerade einmal 20 Minuten kenne, ein derartiges Urteil erlauben könne – schließlich habe er (Herr X selbstverständlich) schon immer Hunde gehabt und weiß deshalb ganz genau, was zu tun ist. Und wenn dies bei DIESEM Hund nicht fruchtet, dann liegt es am Hund und seiner Vorgeschichte, aber mitnichten an ihm selbst! Mission impossible…
Eine – auch bei gescheiterten Vermittlungen – schon fast normale Trotzreaktion. Das unbändige Bestreben, sich und andere davon zu überzeugen, dass man alles weiß und kann – auch angesichts der unwiderlegbaren Fakten, die sich binnen weniger Minuten allen Beteiligten in Form einer mangelnden taktgleichen Kommunikationsebene zwischen Herr & Hund präsentieren. Diplomatisch vorgetragene Erklärungen, warum der Hund DIES tut oder DAS nicht, folgt kein wohlwollendes Zuhören, Reflektieren und selbstkritisches Hinterfragen, sondern nur eines – die unzähligen ABER-Einwände:
„ABER er weiß doch ganz genau, dass er das nicht tun soll!“ (Wie soll der Hund etwas „können“, wenn er es nicht über Versuch & Irrtum erlernen durfte?)
„ABER ich hatte nie Probleme mit anderen Hunden!“ (Wir reden ja hier auch nicht von „anderen“ Hunden, sondern von „diesem“ – Hunde sind keine normgeprägten Lebewesen im Verhaltensgleichklang!)
„ABER andererseits ist er sooo lieb und freundlich zu Menschen – er begrüßt jeden stürmisch, möchte immer auf den Schoss, im Haus ist er mein ständiger Begleiter und folgt mir auf Schritt und Tritt – er hat mich schon sehr lieb!“ (ER hat bereits die Führung in der Beziehung übernommen und warum sollte er sie dann auf den Spaziergängen, gerade auch angesichts artgenössischer „Konkurrenten“, wieder abgeben?)
Die Liste der ABER-Gründe – unendlich lang ist sie und zeigt doch nur eines: der Mensch denkt so gerne als Mensch und schafft es nicht, die (Hunde)Welt mit seinen Augen zu beurteilen. Armer Hund – der nun als „aggressiv“ verteufelt seinen Zug durch sicherlich mehrere Hände antreten wird. Das Tierheim nimmt ihn nicht auf (wegen Überfüllung, wegen der Tatsache, dass an diesem Fehlverhalten bzw. Fehl“erlernten“ gearbeitet werden muss und es an Zeit und Geld dafür mangelt) und den durchschnittlichen Hundeinteressenten schreckt eine ehrliche Schilderung des IST-Zustandes eher ab, als dass sie ihn für den Hund begeistert.
Bleibt also nur eines: man verschweigt den Umstand, dass HUND seine Boss-Rolle bereits erfolgreich auslebt und verinnerlicht hat, schildert ihn als wahres, unkompliziertes Schätzchen und bleibt bei Gesprächen mit Interessenten in der Wohnung. Dort zeigt sich der Hund von seiner Schokoladenseite und sein „stürmisches und freundliches“ Auf- und Dazwischendrängen zeugt selbstverständlich von seiner Liebenswürdigkeit und gibt keinen Anlass, den Gesamteindruck des Hundes zu erkennen oder zumindest zu hinterfragen.
Schnell ist man sich handelseinig – der Hund wird seiner neuen Familie gleich mitgegeben, warum auch nicht: der Hund ist nett, die Interessenten sind nett – die „Vermittlungskriterien“ somit voll erfüllt und… ganz wichtig – der Hund ist endlich weg!
Zu dumm, dass die neue Familie auf den ersten Spaziergängen von Wolke Nr. 7 über diesen gelungenen Glückskauf hart auf den Boden der Tatsachen aufschlägt. Bello zeigt nämlich, wen wundert´s - das, was er bisher „gelernt“ hat: das konsequente Ausleben seines Führungsanspruches durch Aggressionen gegen Artgenossen… und die Familie ist schockiert. Da man ja „nur“ einen lieben Familienhund wollte, ist man in Sachen Hundesprache, -erziehung und Umlenkung von Fehlverhalten noch Anfänger und fühlt sich mit der neuen Situation überfordert. Das menschliche Ego… es zeigt sich auch hier: denn auch ein naiv-gutgläubiger Hundekauf schützt nicht vor Eigenverantwortung! Eine gute Hundeschule, ein fester Wille, in kürzester Zeit das mangelnde Hundewissen aufzuarbeiten und dem Hund die dringend notwendige Führung angedeihen zu lassen – dies wäre die Lösung.
Ob die neuen Hundehalter diesen Lösungsansatz überhaupt in Erwägung ziehen…? Ich weiß es nicht und hoffe, dass Bello nicht zum Wanderpokal jener Menschen wird, die (zu)wenig Pflichtbewusstsein und Verantwortungsgefühl besitzen, dafür aber einen reichhaltigen „ABER“-Wortschatz zur eigenen Ehrenrettung. Ego... sei gegrüßt, willkommen und gepflegt!
Martina Wald
www.angsthunde-intensivtraining.de